Lawinenlagebericht & Risikomanagement

Nur wer sich vor seinem geplanten Winterurlaub über die aktuelle Lawinensituation informiert, kann den möglichen Gefahren im ungesicherten Gelände bestmöglich aus dem Weg gehen. Gemeinsam mit dem Vorarlberger Lawinenexperten Werner Walch, erklären wir dir hier, wie du den Lawinenlagebericht richtig deutest und du dein Risiko am Berg so gering wie möglich hältst.

4 février 2022
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Sicher unterwegs am Berg

Der Lawinenlagebericht ist die wichtigste Informationsquelle zur Bestimmung der Lawinengefahr und sollte deshalb im Rahmen des Risikomanagements bereits vor der Tour berücksichtigt werden. Er besteht aus einem Grafik- und einem Textteil: Während im grafischen Teil die regionale Gefahrenstufe (5-stufige Gefahrenskala), die tageszeitliche Entwicklung, die typischen Lawinenprobleme und die Gefahrenstellen (Hangexposition und Höhenlage) angeführt werden, findest du im Textteil die detaillierte Beurteilung der Lawinengefahr, Beschreibung des Schneedeckenaufbaus, Wetterberichterstattung und Tedenzbeurteilung. Der Textteil ist von großer Bedeutung, da in diesem insbesondere auf die Gefahrenstellen genau eingegangen wird.

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Risikomanagement

Auch wenn du dich ideal auf deine Skitour vorbereitest und den Lawinenlagebericht genau studiert hast, ist es im freien Gelände unmöglich Lawinen komplett zu vermeiden - ein gewisses Restrisiko besteht immer. Allerdings bietet dir ein gutes Risikomanagement die Möglichkeit, dass Lawinenrisiko auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Zu den wichtigsten Säulen eines guten Risikomanagements gehören neben Kenntnissen der Schnee- und Lawinenkunde, die richtige Interpretation des Lawinenlageberichts, die Fähigkeit lawinenrelevante Informationen vor und während der Tour zu evalutieren, Verhältnisse und Gel#nde vor Ort "lesen" und beurteilen zu können, sowie das Beherrschen mindestens einer Entscheidungshilfe. Wir möchten euch dir die Stop or Go Methode näher bringen, bevor wir auf mögliche Gefahreanzeichen und Standardmaßnahmen für jede Tour eingehen.

Stop or Go

Diese Methode, soll dir als Entscheidungsinstrument zur bestmöglichen Vermeidung von Lawinenunfällen dienen. Sie hilft dir, anhand 2 aufeinander aufbauender Checks, zu entscheiden, ob du dich in einen bestimmten Hang begeben kannst (Go!) oder diesen lieber meinden solltest (Stop!)

Check 1

Hier wird die aktuelle Lawinenwarnstufe mit der jeweiligen Hangneigung in Beziehung gebracht (auch "elementare Reduktionsmethode"). Das Ergebnis von Check 1 verrät dir, welche Hangneigungen du meiden solltest:

Fahre bei Gefahrenstufe 2 nur Hänge unter 40 Grad,
bei Gefahrenstufe 3 nur unter 35 Grad und
bei Gefahrenstufe 4 nur unter 30 Grad steile Hänge.
Bei Gefahrenstufe 5 verzichte auf deine Tour.

Da die Einschätzung der Hangneigung eine der wichtisten Fähigkeiten eines Wintersportlers im freien Gelände ist bzw. sein sollte, möchte wir dir eine Methode beschreiben, mit der du ohne zusätzliches Equipment die Hangneigung einfach während der Tour messen kannst:

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  1. Lege einen deiner Skistöcke in direkter Falllinie mit dem Griff hangabwärts auf die Schneeoberfläche und markiere das untere Ende.
  2. Richte den Stock wieder so auf, dass die Spitze des Stocks im Schnee stecken bleibt.
  3. Nimm nun den zweiten Stock und halte den Griff an den anderen Griff und lass ihn pendeln.
  4. Senke beide Griffe so weit ab, bis der frei pendelnde Stock den Bodern berührt und markiere diese Stelle ebenfalls.
  5. Liegt die zweite Markierung genau auf der ersten Markierung - d.h. die Stöcke bilden mit dem Abdruck im Schnee ein gleichwinkliges Dreieck (bei Punkt 1 in der Abb.) - beträgt die Hangneigung 30 Grad. Liegt die Markierung unterhalb der ersten Markierung (Punkt 3), ist er Hand steiler als 30 Grad und liegt sie über der Markierung (Punkt 2), ist der Hang flacher als 30 Grad. 10cm, d.h. in etwa der Durchmesser deines Stocktellers, entspricht einer Neigung vor 3 Grad. Liegt also deine zweite Markierung zwei Tellerbreiten unter deiner ersten Markierung, befindest du dich bereits auf einem Hang mit einer Neigung von etwa 36 Grad.

Check 2

Hat dein Tourenziel den Check 1 der Stop or Go Methode bestanden, unterziehst du dieses Ergebnis im Check 2 noch einer zweiten Prüfung. Hier bist du aufgefordert, das Gelände nach Zeichen für die verschiedenen Lawinenprobleme (Neuschnee, Triebschnee, Altschnee, Nassschnee und Gleitschnee - siehe Lawinenarten & Lawinenprobleme) zu untersuchen und zu beurteilen, ob diese dort für dich gefährlich sind. Findest du Anzeichen auf mögliche Gefahren, meide den Hang (Stop!), kannst du Gefahren ausschließen, hast du ein Go! und kannst den Hang befahren.

Beobachten & Beurteilen

Gerade die Fähigkeit, Verhältnisse und Gelände vor Ort "lesen" zu können, ist für ein gutes Risikomanagement das Um und Auf. Dabei gibt es viele Zeichen und Hinweise, die dir dabei helfen können, mögliche Gefahren zu erkennen. Am besten achtest du im Gelände auf die folgenden Punkte, um möchliche Risiken beurteilen zu können:

Alarmzeichen. Dazu gehören Setzungsgeräusche, Rissbildungen und frische Lawinen. Sind Alarmzeichen vorhanden, ist eine Tour meist abzubrechen oder zumindest eine sichere Routenwahl - sofern möglich - zu wählen.

Eigene Spur. Anhand der eigenen Spur kann bestimmt werden, ob ungebundener oder gebundener Schnee vorliegt (siehe 1. Bild unten). Wer also die Schneedeckenbeschaffenheit gelegentlich prüfen will, kommt nicht darum herum, auch einamal die bereits existierende Spur zu verlassen.

Windzeichen. Ob Schneefahnen, Wechten, Windangeln (siehe 2. Bild unten), Dünen oder abgewehte Rücken (siehe 3. Bild unten) - anhand der Windzeichen lässt sich bestimmen, aus welcher Richtung der Wind weht und wohin möglicherweise Schnee verfrachtet wurde, d.h. sich also gefährliche Triebschneeansammlungen befinden könnten.

Hangexposition. Die Ausrichtung des Hanges lässt Rückschlüsse über ein erhöhtes Lawinenrisiko zu. In nördlichen Hängen ereignen sich mehr als doppelt so viele Lawinenunfälle, wie in Südhängen (Unterschiede in den unterschiedlich ausgerichteten Hängen sie 4. Bild unten).

Übergang von wenig zu viel Schnee. Gerade beim Übergang von Rücken zu Mulden oder zu Rinnen, besteht eine erhöhte Auslösewahrscheinlichkeit.

Einsinktiefe. Eine große Tiefe weist auf relativ ungebundenen Schnee hin. Je tragfähiger der Neuschnee, desto gebundener ist er. Aber Achtung: Neuschnee nicht mit weichem gebundenem Triebschnee verwechseln.

Stocktest. Eignet sich insbesondere zur Erkennung von tiefen gelegenen Schwimmschneeschichten.

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Standardmassnahmen

Um das Risiko einer Lawinenauslösung bzw. -verschüttung auf ein Minimum zu reduzieren, solltest du außerdem vor und während der Tour, folgende Standardmaßnahmen einhalten:

LVS-Check. Kleiner (nur Senden) und großer LVS-Check (Senden und Suchen) vor beginn der Tour.

Abstände während des Aufstiegs. Mindestens 10 Meter Entlastungsabstände ab einer Hangneigung von 30 Grad.

Abstände während der Abfahrt. Unter einer Hangneigung von 35 Grad sollten mindestens 30 Meter Entlastungsabstände eingehalten werden. Ab 35 Grad Hangneigung sollte einzeln abgefahren werden. Wichtig ist hierbei auch ein sicherer Sammelpunkt, wo die Gruppe stehen bleibt.

Gelände optimal nutzen. Achte im Gelände vor allem darauf, was über und unter dir los ist. Können sich über dir Lawinen lösen oder befindest du dich eventuell über einer Geländefalle? Achte darauf, die Geländestruktur im Aufstieg genauso wie in der Abfahrt optimal zu nutzen.

Laufende Orientierung. Überprüfe immer wieder deine Orientierung und achte darauf, dass du mit deinen Kameraden kommunizierst. Das richtige Tempo und Befindlichkeiten sollten ständig überprüft werden.

 

Bitte beachte, dass unsere Beiträge zum Thema Lawine & Sicherheit lediglich bestehendes Wissen wieder in Erinnerung rufen sollen und keinen Ersatz für einschlägige Lawinen- und Sicherheitsausbildungen darstellen. Um dein Wissen über Lawinenkunde und Sicherheit am Berg noch weiter zu vertiefen, empfehl wir Werner Walchs Lawinenkundebuch "Lawine & Sicherheit".