Everesting - die ultimative Höhenmeter Challenge für Radler

Das Konzept eines Everestings ist denkbar einfach. Man sucht sich einen beliebigen Anstieg und bewältigt diesen non-stop so oft, bis die gesammelten Höhenmeter der Seehöhe des Mount Everests entsprechen - also 8.848m. Dabei spielt es keine Rolle, ob du radelst, läufst, wanderst oder Ski unter den Füßen hast.

3 maart 2023
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#skinfitcrew Member Johannes Pistrol ist leidenschaftlicher Mountainbiker und immer wieder auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Die Idee eines Everestings begeisterte ihn im vergangenen Jahr ebenso wie tausende andere professionelle und ambitionierte Sportler, die diesen regelrechten Boom aus Australien nach Europa und Österreich brachten. Warum 8.848 keine schöne Zahl ist und wie er es schaffte 10.000 Höhenmeter mitten in Wien zu radeln, erzählt euch Johannes im Interview.

Was fasziniert dich am Everesting?
Für mich besteht der große Reiz ganz klar in dem verführerisch simplen Konzept, von dem man gleichzeitig weiß, dass es einen an die persönliche Leistungs- und Leidensgrenze bringen wird. Zudem ist es kein fixer Wettkampftermin. Die Organisation und somit auch zeitliche Umsetzung liegt allein bei einem selbst, was mir als Familienmensch mit Berufsalltag sehr entgegen kommt. Noch während meines ersten Everestings 2021 auf dem Mountainbike hatte ich mir geschworen, so etwas derart hartes nie wieder zu machen. Doch beruflich bin ich an der TU Wien tagtäglich von Zahlen umgeben und ich finde,  die 10.000 ist doch die viel schönere Zahl. Als junger Papa wollte und konnte ich 2022 keine großen Bike-Abenteuer in fernen Ländern oder auf hohen Gipfeln planen, genoss es aber sehr, vor allem im gemeinsamen Familienradurlaub, mit meiner Tochter im Anhänger viele Kilometer zu sammeln. Unzählige Anstiege mit rund 30kg Anhängelast (Kinderanhänger) auf den steilen Tiroler Forststraßen waren für mich ein perfektes Training und so ließ mich der Gedanke an ein zweites Everesting, und zwar ein Everesting 10k, nicht mehr los.

Richtig. Ein Everesting ist keine fixe Veranstaltung, kein organisiertes Event. Wie bestimmst du den idealen Ort und Zeitpunkt?
Im Allgemeinen ist neben dem ausreichenden Training die Wahl eines geeigneten Anstiegs wohl einer der wesentlichsten Faktoren in der Vorbereitung. Erfolgversprechend kann ein Anstieg dann sein, wenn er gleichmäßig ist und möglichst viele Höhenmeter pro Auffahrt hat. Entgegen der Meinung vieler „Early Birds“ (maximale Dauer an Tageslicht) starte ich meine Challenge lieber am Abend gegen 19.00 Uhr. Das bedeutet zwar, dass man gleich vom Start weg in der Dunkelheit unterwegs ist, aber dafür ist man anfangs noch konzentrierter und es fällt einem leichter, die Tücken der Nacht wie Orientierung und difuses Licht zu meistern. Zusätzlich kann ich mir kaum eine größere psychologische Herausforderung vorstellen, als gegen Ende, wenn vielleicht nur mehr 1.000 Höhenmeter fehlen, (nochmals) in die Dunkelheit zu kommen.

Du wohnst in Wien. Da klingt das leichter gesagt als getan oder?
Ja absolut. Ich wollte auf jeden Fall in der Nähe meines Zu Hauses in Wien bleiben. Schließlich sollten Freunde und Familie als meine größten Motivatoren dabei sein und mich zum Teil sogar begleiten können. Im Wiener Stadtgebiet sind geeignete Anstiege eher eine Seltenheit.  Aber nach einigen Erkundungsfahrten, Kartenstudium und Recherche auf Strava fiel meine Wahl schlussendlich auf die Ulmenstraße im 14. Bezirk, die zur Jubiläumswarte hinaufführt. Mit rund 9% durchschnittlicher Steigung und nur wenigen Rampen mit ca. 15% ist sie zwar steil, aber doch halbwegs gleichmäßig. Nur an den Höhenmetern mangelte es etwas. Für Wiener Verhältnisse sind es zwar beachtliche, aber objektiv betrachtet, doch eher mickrige 165 Höhenmeter, die ich je Auffahrt sammeln konnte. Das hieß für mich im Umkehrschluss, ich würde 61 mal zu meinem „Basecamp“ am obersten Punkt der Straße zurück kehren müssen.

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Der Plan: Jubiläumswarte in Wien, 61 Auffahrten mit je 165 Höhenmetern, Start um 19.00 Uhr 

how hard can it be?

Auf los geht`s los. Wie sah dein Tag X aus?
Ich richtete am frühen Abend mein kleines Basecamp (in Wahrheit ein einfaches Auto mit offenem Kofferraum) am höchsten Punkt der Strecke gleich neben einem Gasthaus ein. Es diente mir während der Challenge als Lager für sämtliche Ersatzkleidung, Verpflegung und Material. Ebenso konnte ich dort problemlos parken und die Toiletten der Wirtschaft nutzen. Pünktlich um 19.00 Uhr wollte ich hochmotiviert und ohne jeglichen Zweifel es zu schaffen, losrollen. Doch kurz bevor ich am Startpunkt ankam, nahm ich mit Entsetzen erste Regentropfen auf der Windschutzscheibe wahr. Es sollte laut diverser Wetter-Apps eigentlich trocken bleiben. Beim Aussteigen fuhr mir ein heftiger Wind in die Knochen, der die angezeigten 13 Grad deutlich kühler wirken ließ. Aber egal, ich war da, ich war bereit und wusste, dass es in absehbarer Zeit nur diese eine Möglichkeit für mein Everesting geben würde. Wegen ein paar Regentropfen und nicht ganz zutreffender Wettervorhersagen konnte und wollte ich meine Freunde und Familie an der Strecke und am wenigsten mich selbst nicht enttäuschen.

10.000 Höhenmeter und 61 Anstiege vor Augen. Was geht einem da durch den Kopf? 
Etappendenken und konsequente Energiezufuhr sind bei so einem langen Projekt extrem wichtig. Ich konzentrierte mich von Anfang an rein auf mein kraftsparendes effizientes Treten (hohe Frequenz und möglichst geringer Krafteinsatz) und dachte immer nur bis zum nächsten Zwischenziel wie beispielsweise die erste planmäßige Essenspause nach fünf Auffahrten und gut 800 Höhenmetern. Zunächst beschäftigte mich aber weniger die lange Strecke, die vor mir lag sondern der einsetzende Regen, der mich ärgerte und zunehmend auch störte.

Hast du je ans Aufgeben gedacht?
Nachdem in der ersten Pause mein erhoffter Radkollege auf seinem Renner vorbei kam und wir gemeinsam wieder auf den Sattel stiegen, hatte ich genügend Zuversicht, um mich weiter durch den Regen zu beißen. Schließlich war ich ja erst am Anfang meines Vorhabens. Doch als ich wenig später kalt und durchnässt auch noch feststellen musste, das mein Radcomputer während einer steil ansteigenden Rampe -2% Gefälle anzeigte und ich laut Display noch nicht einmal 400 Höhenmeter geschafft haben sollte, kamen mir große Zweifel und der Gedanke auf, ob ich meinen Versuch abbrechen sollte oder sogar musste? Warum musste es ausgerechnet an diesem Tag so kalt sein? Warum musste es regnen, obwohl doch eine trockene Nacht vorhergesagt war? Warum funktioniert die Technik immer dann nicht, wenn man sie wirklich braucht? Für kurze Zeit war ich in dieser Gedankenspirale aus Ärger und Selbstmitleid gefangen.

Und wie bist du da wieder heraus gekommen?
Mein Kumpel war bei wahrlich nicht einladenden Bedingungen spät abends extra für mich los geradelt, um mich auf ein paar Runden zu unterstützen. Das wurde mir erst bei seinem Anblick bewusst und ich fand das irgendwie unbeschreiblich großartig von ihm und zwei weiteren Kumpels, die mich abschnittsweise begleitet und vor allem in mentalen Krisen immer wieder aufgerichtet haben. So wurde mir schnell klar, dass ich schon allein ihretwegen nicht gleich aufgeben konnte. Ebenso sendete mir meine Frau von zu Hause aus tröstende und aufmunternde Worte, obwohl sie kein uneingeschränkter Fan mancher meiner sportlich-extremen Aktionen ist. In jenem Moment war es allein der Zuspruch von diesen zwei Menschen, der mich zum Weitermachen gebracht hat. Nach einer Weile Frust und Ärger flüchtete ich mich in die Einsamkeit der hereinbrechenden Nacht. Wieder solo unterwegs radelte ich fast wie in Trance im Dunklen hoch und runter. Immer wieder. So spulte ich gleichmäßig Runde um Runde ab und es begann endlich zu laufen. Die Dunkelheit half mir, zur inneren Ruhe zu kommen und mich neu zu fokussieren.

Wie hast du dich über diese enorm lange Dauer ausreichend ernährt?
Ich habe da nichts dem Zufall überlassen sondern das regelmäßige Trinken und anfangs auch das Essen einem strengen Plan unterzogen und mich während der Auffahrten mit Flüssigkeit und gut verdaulicher Nahrung verpflegt. Aber die nötige extrem hohe Kalorienzufuhr fiel mir zum Ende hin immer schwerer. Alle vier oder maximal fünf Runden legte ich eine Pause ein, um bewusst etwas zu essen. Ich hatte mit Riegeln, Bananen und Nüssen in meinem „Basecamp“ vorgesorgt. Nur schmecken wollte mir nach über 12 Stunden Radfahren einzig und allein nur mehr der am Vortag zubereitete Nudelsalat von meiner Frau.

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Zu Beginn war die Anspannung und Ungewissheit sicher groß. Setzt während solch einer non-stop-Challenge irgendwann auch Routine ein?
Auf jeden Fall. Die anfängliche Aufregung muss sich auch irgendwann legen, um die Energie im Körper sinnvoll für das Radfahren einsetzen zu können und keinesfalls zu überpacen. Es lief nach überstandener Mentalkrise ab Mitte der Nacht recht gut und ich hatte meinen stabilen Rhythmus gefunden. Ich kannte den rund zwei Kilometer langen Anstieg nach nunmehr gut 40 Auffahrten bis ins kleinste Detail auswendig. Schaltete an den immer selben Stellen und trank konsequent auch ohne Durstgefühl während jeder Auffahrt am selben flacheren Abschnitt der Strecke. Diese immer wieder kehrende Routine, meine wechselnden sehr motivierenden Radkollegen und die mittlerweile mental fassbare Dimension der noch zu absolvierenden Auffahrten (es waren „nur“ noch 20 Mal) machte mich bei Sonnenaufgang sicher, dass ich zumindest ein Everesting schaffen würde und nach knapp 16h war das dann auch Realität geworden.

Aber auch das war „nur“ ein Zwischenziel zum Happy end..
Ja genau. Ein zweites Mal ein Everesting geschafft zu haben, fühlte sich super an und ich war für einen kurzen Moment zufrieden doch mein Kumpel, der mich auf dem letzten Abschnitt begleitete, stellte sofort klar, dass es ja noch weiter gehen und ich mich auf die 10.000 konzentrieren sollte. In diesem Moment schöpfte ich unglaublich viel Motivation aus seinen Worten, um auch die verbleibenden sieben Auffahrten in Angriff zu nehmen. Ab jetzt konnte mich wahrlich nichts mehr aufhalten und ich erinnere mich noch heute an das unbeschreibliche und auch ein wenig unwirkliche Gefühl, als ich nach rund 18 Stunden im Sattel und 10.000 Höhenmetern von meinen Freunden und meiner Familie siegreich in Empfang genommen worden bin. Da ist es auch schnell verziehen, dass meine kleinste und treueste Trainingspartnerin meine Zielankunft im Auto verschlafen hat ;). Obwohl ich die letzten Stunden auf dem Rad absolut keinen Appetit mehr verspürte, wollte ich anschließend einfach nur in das Gasthaus einkehren, an dem ich 61 mal vorbei geradelt war.  Ich war maximal erschöpft aber glücklich und zufrieden. Mehr brauchte ich in diesem Moment nicht. Heute macht es mich auch ein wenig stolz,  mein Herzensprojekt trotz widriger Umstände doch noch erfolgreich umgesetzt zu haben.

Everesting Checkliste 

  • Suche dir einen gleichmäßigen, für dich machbaren Anstieg mit möglichst vielen Höhenmetern.
  • Achte bei der Wahl deines Startpunktes auf Park- und Toilettenmöglichkeiten.
  • Wähle vorzugsweise einen Startzeitpunkt am frühen Abend.
  • Überlege, was oder/und wer dir eine mentale Stütze in schwierigen Momenten sein könnte (Begleiter an der Strecke, Fotos/Sprüche auf deinem Lenker, Telefonnummern der besten Freunde & Familie).
  • Lege dir trockene Wechsel- und Ersatzkleidung bereit.
  • Denke an geladene Akkus für deine Beleuchtung und deinen Radcomputer.
  • Ausreichende Verpflegung und Flüssigkeit ist wichtig. Gut verdaulich und wahre Energiebringer sind Riegel, Bananen, Nüsse und Gels.
  • Für kleinere Defekte solltest du mobiles Werkzeug und Ersatzmaterial greifbar haben.

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